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Historische Ansichten von Eutritzsch (139)

Dr. Jürgen Weihrauch – von Schlesien nach Eutritzsch: Vom Flüchtlingskind zum Chefredakteur des Eutritzscher Rundblicks

Seit 2004 ist Dr. Jürgen Weihrauch Chefredakteur des „Eutritzscher Rundblicks“. Bereits 1994 wurde er Vorstandsmitglied im Bürger Verein Eutritzsch e. V. Die Vorstandssitzungen fanden damals noch bei Pfarrer Thomas Müller im Keller statt. 1995 erschien die eigene Zeitung des Vereins, der „Eutritzscher Rundblick“. Jürgen oblag die Rechnungslegung; später wurde er die rechte Hand von unserem langjährigen Vorsitzenden Wolfgang Grundmann (1937 – 2004). In Wolfgang Grundmanns Sinne führte Jürgen den Verein weiter und übernahm die Redaktion des „Eutritzscher Rundblicks“.

Nun gehen wir ins Jahr 1943 zurück. Hermann Jürgen Weihrauch wird am 17. April 1943 in Lauban, oder Oberlausitzisch „Laubn“, geboren. Seine Mutter ist 42 Jahre alt, sein Vater 50. Heute ist Lubań eine Landgemeinde der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien mit der Hauptstadt Breslau (Wrocław). In Sächsisch Haugsdorf (heute Nawojów Łużycki), der Heimat seiner Eltern und Großeltern, an der früheren Reichsstraße 6, wuchs Jürgen auf. Sächsisch Haugsdorf, 1939 mit Schlesisch Haugsdorf (Nawojów Śląski), auf dem rechten Ufer des Queis, vereinigt, besaß viele landwirtschaftliche Betriebe. Hier lebte Familie Weihrauch auf ihrem landwirtschaftlichen Gut seit mehreren Generationen. Bauer Erich Weihrauch (1893 – 1975) und seine Frau Margarete (1901 – 1980) bewirtschafteten den Bauernhof und die dazu gehörenden Felder. Bedienstete wohnten im Haus. Bescheidenheit, Dankbarkeit und Zufriedenheit waren die Tugenden des Vaters, die er seinen Kindern vermittelte.

Die Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße begann im Herbst 1944. Nach sogen. „wilden Vertreibungen“ erfolgte die Zwangsaussiedlung des allergrößten Teils der deutschen Bevölkerung. Im kalten Winter mit minus 20 Grad und darunter waren die Flüchtlinge zu Fuß oder mit Pferdewagen unterwegs.

Wie erging es der Familie Weihrauch? Die Front rückte näher, man konnte schon, aus vielleicht 15 km Entfernung, das Geschützfeuer hören. Mit den Habseligkeiten auf dem Tafelwagen ging der Fußmarsch in die Tschechoslowakei. Dann wich die Front wieder zurück und man ging nochmals ins Dorf. Doch da waren bereits Polen auf dem Gut.

Es erfolgte die offizielle Ausreise mit dem Zug. Im Januar 1946 ging es ins Aufnahmelager Meusdorf, dann in das zugewiesene Zimmer – alle vier mussten sich ein Zimmer teilen – bei der Familie Böhme in Gohlis, Wustmannstraße 1. Später erhielt die Familie Weihrauch ein zusätzliches Zimmer und nach Jahren eine eigene Wohnung in der Wustmannstraße 7.

Unentgeltliches warmes Essen ins Kochgeschirr gab es in den Jahren 1947/48 auch in der Gosenschänke Eutritzsch (Notversorgung). Mit vier Jahren besuchte Jürgen den christlichen Kindergarten in der Seitengasse 2. Im Gedächtnis blieb die Begebenheit, dass am Parkteich ein russischer Soldat stand, der Jürgen ein Stück Schokolade reichte, als er mit seiner Mutter auf dem Weg zum Kindergarten war.

Jürgens Vater, der von allen sehr geachtet wurde, war ein kluger Mann und für Jürgen Vorbild. In Leipzig erhielt er eine Beschäftigung als Mitarbeiter der Garten- und Landschaftsgestaltung, hat im Arthur-Bretschneider-Park umgegraben und mit der Sense den Rasen gemäht. Mutter Margarete arbeitete in der Kunstprägeanstalt F. Georg Gerhardt, Kantstraße 53. Schwester Charlotte (20 Jahre älter als Jürgen) machte Heimarbeit und fungierte am Tage als Aufsichtsperson und Mutterersatz.

Zum Einkaufen ging man zum Kaufmann Disselberger, Coppistraße 39, Ecke  Lützowstraße und zur Fleischerei Lachmann, Coppi straße 53a, Ecke Virchowstraße.

Nach der Grundschulzeit in der 35. (Virchowstraße 4) und 34. Schule (heute Delitzscher Straße 110) besuchte Jürgen ab 1957 die 33. Schule in der Anhalter Straße 1. Viel Freude machte ihm neben dem Schulsport Mathe bei Lehrer Hans Baudach. Die Sportbegeisterung hält bis heute an: Fußball, Handball, Tennis etc. Schwimmen lernte Jürgen im Schwimmunterricht der 34. Schule im Stadtbad. Nach der Schule ging es im Sommer oft ins Wackerbad. Neben seinen sportlichen Aktivitäten hatte Jürgen eine Vorliebe für Basteln mit Holz, die sich schon im Werkunterricht der Grundschule entwickelte. Ein Praktikum 1959 bestätigte seine Leidenschaft. So verwirklichte er nach der Mittleren Reife die Lehre zu seinem Traumberuf Holzmodellbauer (Modelltischler), die er 1962 beendete, jedes Jahr als „Bester Lehrling“. Bis 1967 war er dann als Modellbauer im „Sächsischen Modellbau“ tätig. An sein Fernstudium zum Gießereiingenieur schloss sich 1971 ein vierjähriges Fernstudium (heute Wirtschaftsinformatik) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg an. Vom Hauptreferenten EDV beim Wirtschaftsrat Leipzig (1968 – 1970), über den Problemanalytiker EDV im ORZ der bezirksgeleiteten Industrie (1970 – 1983) und Oberassistenten am Lehrstuhl der Universität Halle (Promotion 1984), wurde Jürgen 1991 Geschäftsführer einer Informatik GmbH, bevor er 1993 betriebswirtschaftlich beratend tätig wird.

Seinen Grundwehrdienst absolvierte Jürgen Weihrauch im Nachrichtenregiment 3, in der Georg-Schumann-Straße 146 von 1965 – 1967.

1964 lernte er seine Frau Helga kennen und 1967 heirateten beide. Nach Sohn Michael, 1967, erblickte 1971 Tochter Claudia das Licht der Welt. 1967 zog Familie Weihrauch (nach entsprechenden Aufbaustunden) zur Teilhauptmiete in die Dessauer Straße 45 (heute VLW, Vereinigte Leipziger Wohnungsgenossenschaft eG) und 1971 in die noch heutige Wohnung des 1928 erbauten Hauses Dessauer Straße 39.

Entspannt waren die Urlaube an der Mecklenburgischen Seenplatte – bis heute ein besonders Erlebnis: das Paddeln im Faltboot! In den 1990er Jahren fand Jürgen als Anlageberater für Wertpapiere und Rentenfonds und bereits seit 1976 als Mietervertreter der Wohnungsgenossenschaft, ab 2018 in deren Aufsichtsrat, neue Aufgaben.

Für sein besonderes ehrenamtliches Engagement seit 1994, als Schatzmeister des Bürger Vereins Eutritzsch e. V., Vorsitzender des Vereins (2004 – 2017) und Chefredakteur der Vereinszeitung „Eutritzscher Rundblick“ seit 2004, erhielt Dr. Jürgen Weihrauch am 14. Juni 2018 die Goldene Ehrennadel der Stadt Leipzig.

Die ständige Herausforderung, das Eutritzscher Ortsblatt aller zwei Monate in begeisternder Qualität bzgl. Inhalt und Ausführung entstehen zu lassen, ist Jürgens Verdienst. Von der Akquise und  Anzeigenannahme über Planung und Koordinierung, Platzierung der Anzeigen, Einräumen von kostenfreien Beiträgen, Rechnungslegung, Festlegung der Verteilerlisten, Mahnungen (Zahlungsmoral) etc. erstreckt sich seine ehrenamtliche Tätigkeit.

Möge Jürgen, mit nunmehr 82 Jahren, noch viele Jahre in Gesundheit seine Kraft dem Bürger Verein Eutritzsch e. V. widmen können.

Frank Heinrich

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